Freitag, 6. Januar 2017

Von Generation zu Generation





              























Schon beim Abbiegen in die kleine Nebenstraße kann man die Hammerschläge hören. Das von den Schlägen verursachte Geräusch ist satt und irgendwie saftig. Von weitem erkenne ich meine Verwandten, die vor dem Haus meines Ur-Onkels auf der Straße stehen. Heute ist mochi-tsuki. Die ganze Familie und einige Menschen aus der Nachbarschaft haben sich versammelt, um gemeinsam Reiskuchen zu machen. Gerade hält mein Onkel das kine, einen großen Holzhammer, und schlägt ihn präzise und mit voller Wucht in den mit dem  mochigome, speziellem Reis, gefüllten Holztrog.

Zwischen den Schlägen löst mein Vater mit angefeuchteten Händen die heiße, mittlerweile fast teigig geschlagene Reismasse. Stetig wird dieser Prozess wiederholt, bis am Ende ein glatter und glänzender Teig entstanden ist. Diesen hebt mein Vater aus dem Trog und legt ihn meiner Oma auf ein großes Holzbrett. Oma eilt damit ins Haus. Wir Kinderschar eilen hinterher. Die Frauen der Nachbarschaft stehen in der Küche. Sie streichen einen Teil des Teiges zu einer Platte aus, während meine Tante aus dem anderen Teil verschiedenen große Kugeln rollt und diese aufeinander setzt. Okasane heißt diese Figur, erklärt uns meine Oma. Die große Kugel symbolisiert die ältere Generation und vergangenen Jahre und die kleine Kugel das kommende Jahr. Später wird noch eine daidai, eine Bitterorange, darauf gesetzt. Für das Fortbestehen unserer Familien, sagt Oma. Von Generation zu Generation.
Hier dürfen wir Kinder auch etwas mithelfen.
Der Teig ist höllisch heiß und klebrig.

Immer wieder tauche ich meine kleinen Hände in Reismehl, mochiko, und versuche, möglichst runde Kugeln zu formen. Meine Oma lobt mich für meine Kugeln, während sie meine alles andere als runden Schöpfungen noch ein wenig in Form bringt. 
































Auf einem anderen Tisch wird der mittlerweile erkaltete Teig in Stücke geschnitten und in Kästchen verpackt. Jede Familie soll später eines von den Kästchen und einen Kagami-mochi mit nach Hause nehmen.

Immer wieder wird frisch gedämpfter, heißer Reis in den Holztrog gefüllt und zu Teig verarbeitet. Draußen ist mittlerweile mein Vater mit dem Schlagen an der Reihe. Mit dem typischen Ausruf „hai yo“ wird mein Vater - wie mein Onkel zuvor - nun von den umstehenden Männern unterstützt.

Als mein Vater uns zwischen den Beinen der Erwachsenen in der ersten Reihe erblickt, macht er eine Pause. Dann hält er uns das Ende des kine entgegen. Mein Cousin und ich krempeln unsere Ärmel hoch und nehmen all unsereKraft zusammen und greifen den Stab. Und nichts passiert. 
Das kine bewegt sich keinen einzigen Millimeter. Nochmals ziehen und zerren wir mit allem, was wir aufbieten können und entlocken der Reismasse einen leisen, fast seufzenden Laut. Ungläubig starre ich auf meine Hände, da kommen uns meine Schwester und weitere Kinder zu Hilfe. Mit vereinten Kräften schaffen wir es, den inszwischen in der Reismasse versunkenen Holzkopf mit einem schmatzenden Geräusch wieder herauszuziehen und ihn aus immerhin halber Höhe auf den Reis fallen zu lassen. Die Erwachsenen lachen und klopfen uns anerkennend auf die Schulter. Wir nehmen wieder den gebührenden Abstand ein und plappern aufgeregt über unser Zwischenspiel. 
Schier unbegreiflich und geradezu heldenhaft kommt es mir nun vor, wie mein Vater mit großer Kraft und Geschwindigkeit das kine immer wieder auf den Reis hinunter sausen läßt. Ein wenig Stolz auf meinen starken Vater bemerke ich, wie nun auch die anderen Kindern mit völlig neuer Ehrfurcht das Geschehen beobachten. 

Bald schon begrüßen wir das neue Jahr mit unserem selbst gemachten mochi. Gegrillt, mit Sojasauce und in nori gewickelt, so wie wir es am liebsten mögen.