Sonntag, 30. Oktober 2016

Fluch und Segen


Anstrengend





















Das ist im Grunde meine erste Assoziation, wenn ich an Online Bewertungsportale für Restaurants denke. Als ehemalige Restaurantbetreiberin betrachte ich diese Portale selbstverständlich auch mit gemischten Gefühlen. Ein immer größer werdender Markt, dessen Bedeutung und Einfluss täglich zuzunehmen scheint.

Eigentlich dazu gedacht, einem das Leben zu vereinfachen, haben sie mir als Nutzerin - die ich nach wie vor bin - jedenfalls sicher auch schon den ein oder anderen Abend verkompliziert. Möglichst viele Menschen sollen ihre Ess-Erfahrungen niederschreiben und dabei demokratisch Lokale mit Sternchen oder Punkten bewerten.

Nach Eingabe der Stadt und/oder Speise, beginnt zumindest für mich die Qual der Wahl. Etliche Restaurants werden einem angezeigt, die von 1-5 Sternchen/Punkten rangieren.
Wie schön und einfach wäre es nun, bei der aktuellen Nummer 1 zu reservieren und sich dann einigermassen sicher sein zu können, eine gute Wahl getroffen zu haben. So einfach ist das aber leider nicht. Ohne ein gerütteltes Maß an Anstrengung und Recherche ist eine Enttäuschung fast vorprogrammiert.

Man hätte nämlich die Rechnung ohne den unberechenbaren Faktor "User" gemacht. Denn Vertrauen ist in diesem Falle selten gut und Kontrolle Pflicht. Auf also ins mediale Getümmel. Es beginnt das muntere Einschätzen.

Es geht hierbei nicht nur um die Bewertungen des Lokals an sich. Es muss tiefer in die Materie und in die Psychologie der User eingetaucht werden, um den Aussagewert der angehäuften Weisheiten richtig für sich einschätzen zu können.

Natürlich nehmen sich zunächst wohl nicht nur wahre Gourmets die Zeit für die Abgabe von Bewertungen auf solchen Plattformen. Oft spielen die verschiedensten Vorlieben und teilweise natürlich auch recht ungewöhnliche, einem selbst möglicherweise eher befremdlich erscheinende Motivationen eine Rolle für die Vergabe von Punkten und Sternen.

Wenn zum Beispiel User XY schreibt "Wow! Riesenportionen, Hähnchen süß sauer nur 3€! Hier stimmt das Preis-Leistungsverhältnis noch!" und 5 Sterne vergibt, ist das natürlich für meine persönliche Einschätzung durchaus aussagekräftig. 
Ich sollte nun also User XY abonnieren und tunlichst die Läden vermeiden, an die er Sterne vergibt. Aber nicht jeder Beitrag ermöglicht ein so einfaches Trennen von Spreu und Weizen.

Und so lese und sortiere ich mich grundsätzlich bei jedem Lokal durch 15-20 Bewertungen, bis ich dieses aussortiert oder jenes ausgewählt habe. Im besten Fall finde ich natürlich eine Bewertung, die erkennbar von einer Person verfasst wurde, die ungefähr meine Vorlieben und Abneigungen teilt.

Auch wenn die Suche nach solchen Nutzern nicht immer leicht von der Hand geht. Hat man irgendwann eine solche Person etwa gleichen Gustos gefunden, kann das Nutzen dieser Portale durchaus Freude bringen.
Für manche Städte habe ich mittlerweile wahre Seelenverwandte unter den Usern. Egal wie viele Bewertungen desselben Lokals auch in noch so andere Richtungen gehen mögen. Auf das Urteil dieser User verlasse ich mich teilweise blind. Gehe sogar nach deren Empfehlungen gezielt essen, nur um mich dann glücksselig nickend über einem Gericht wiederzufinden und im Geiste einen Toast auf einen User auszusprechen.
Einen Menschen, den ich noch nie gesehen habe und der von meiner Existenz aber auch rein gar nichts weiß. Verquere Welt.