Sonntag, 12. Juni 2016

Der Geschmack meiner Kindheit































Es ist ein Ast der meine Aufmerksamkeit hat, voll behangen mit dicken und ganz bestimmt saftigen Trauben. Prall, fest und reif zum Pflücken.
Ein warmer Herbsttag, eine leichte Brise weht und ich sehe die Blätter des Astes erzittern.
Es ist so friedlich und die Luft ist erfüllt vom Duft nach frisch gekochtem Reis....Reis?!
Als meine Schwester mich grob mit ihrem Ellenbogen anstößt, damit ich die Schüsseln weiter verteile, reißt mein Blick vom Holzschrank mit Schnitzereien von Weinreben ab und ich erwache aus meiner Tagträumerei.

Übrig bleibt noch der Duft von frisch gekochtem Reis und der Wind wird ersetzt durch die von mir so geliebten Geräusche: 
Eine Melodie wie sie nur eine Küche hervorbringen kann...es brutzelt, zischt und blubbert. 
Das schnelle, rhythmisch-monotone Klacken vom Messer das auf Holz trifft. Geschirrklappern. Etwas landet in der Spüle. Der Hahn wird aufgedreht. 
Und immer wieder kleine kurze Schlurfschritt Geräusche auf knarrenden Holzdielen, die ich so nur von meiner Oma kenne. 
Meine kleine Oma und ihre Miniküche, in der kein Regal wirklich gerade, kein Schrank nicht hoffnungslos vollgestopft und in der überall Töpfe und Pfannen hängen. 
Behände wirbelt und wirkt Oma „Obasan“ dort seit Jahrzehnten und jedes Mal verlassen wahrhaft umamische Geschmacksbomben diesen ganz eigenen Mikrokosmos. 

Auf die freue ich mich gerade so sehr, dass ich nun auch schnell die letzten Schüsselchen verteile, um mich wieder artig auf meine noch kindlich knubbeligen Knie niederzulassen wie es bei uns Sitte ist.

Mein Opa stellt eine glänzend polierte Lackbox mit Stäbchen auf den Tisch.
Das Essen rückt in greifbare Nähe. 
Ich höre das Klappern von Holzsandalen näher kommen. 
Die Schiebetür am Eingang wird aufgeschoben und entlockt dem dortigen Windspiel ein paar helle Klänge.

"Tadaima" sagt mein Vater, während er sich seiner Schuhe entledigt und sich neben mir niederlässt. Meine Schwester rauscht mit einem Tablett voller Essen an mir vorbei und stellt es am Hausaltar ab, um unseren Ahnen zu huldigen. Mittlerweile kniet auch Oma und der Rest meiner Familie. 
Vor uns gefühlte hundert kleine Porzellanteller und Schüsseln voller Köstlichkeiten, so liebevoll angerichtet, dass einem das Herz aufgehen möchte. Irgendwie hält auch ein jeder, ob der Pracht die sich hier einem bietet, kurz inne. 

"Itadakimasu" höre ich mich schnell und wohl etwas zu laut sagen, was mir einen strafenden Blick meines Vaters einbringt. 
Ist Ungeduld etwa keine japanische Tugend?
Oma und Opa schmunzeln gütig und dann beginnt auch schon unser Festmahl. 

Das war vor 30 Jahren.
Immer wenn mir der Duft von frisch gekochtem Reis in die Nase steigt, habe ich wieder diese Bilder im Kopf. 


Eine Schüssel voller Reis bedeutet für mich Heimat.