Donnerstag, 4. Mai 2017



Wir sitzen im Café Strauss, einer ehemaligen Friedhofskapelle. Es herrscht eine angenehme Stille an diesem Ort, die nur vom Zischen und Schäumen der Kaffeemaschine unterbrochen wird. Miako, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, sitzt mir gegenüber. Zwischen ihren Terminen auf den Bühnen dieser Welt, hat sie sich die Zeit genommen und erzählt mir aus ihrem Leben. 
Miako habe ich kennengelernt, da lebten wir noch nicht lange in Münster. Damals gab es hier nicht viele Japaner. Bei einem Treffen lernten sich unsere Eltern kennen. 
Miakos Mutter ist eine Konzertpianistin und man kann wohl behaupten, dass Musikalität in der Familie liegt. Im Alter von vier Jahren spielte Miako das erste Mal Geige. Damit war der Grundstein gelegt. Es folgte Unterricht bei renommierten Musikern und Lehrern. Sie gewann dann bald schon den Wettbewerb „Jugend musiziert“ und auch bei zahlreichen europaweiten Wettbewerben hatte sie die Nase vorn und wurde vielfach für ihre Leistungen ausgezeichnet. Heute lebt sie in Berlin und studiert derzeit als Master-Solistin "Alte Musik".  


©Roger Richter


Hej Miako, wie schön das wir uns wiedersehen!
Mir ist bei der Vorbereitung aufgefallen, dass wir uns zwar schon weit über 20 Jahre kennen, aber ich ziemlich wenig über Deinen Hintergrund weiss. Wird höchste Zeit das zu ändern, oder?

Ja, freut mich auch! Dann schieß mal los…

Okay….viele Halbjapaner haben einen Background, hinter dem meist eine spannende und ungewöhnliche Liebesgeschichte steckt.
Erzähl mal, wo haben sich Deine Eltern kennengelernt?

Meine Mutter ist für ihr Musikstudium nach Deutschland gekommen. Es war schon immer ihr Traum in Deutschland Klavier zu studieren. So ist sie mit, ich glaube 22 Jahren, hier rübergekommen, um in Detmold ihre Ausbildung zur Pianistin zu  absolvieren.
Die Familie meines Vaters hat zu der Zeit öfter mal internationale Studenten aufgenommen und in ihrem Haus wohnen lassen. Tja... eine davon war meine Mutter. So haben sich meine Eltern kennen und lieben gelernt. Lustiger Weise haben mein Vater und auch seine beiden Schwestern ihre Partner auf diesem Wege kennengelernt. So sind wir eine sehr internationale Familie geworden. Eine Japanerin, ein Amerikaner und ein Serbier.
Meine Mutter ist dann auch nach dem Studium in Deutschland geblieben. 


Habt Ihr denn noch Verwandte in Japan?

Also meine Großeltern leben beide nicht mehr.
Die beiden Geschwister meiner Mutter leben noch und ich habe Cousins und Cousinen dort. Mit einer hatten wir regelmässig Kontakt und sie hat unsere Familie des öfteren besucht und ihre Ferien bei uns verbracht. Natürlich sind dort auch noch Cousins und Cousinen meiner Mutter, aber da kenne ich kaum welche.

Woher stammt die Familie Deiner Mutter ?

Aus Kyoto. Wunderschön und sehr idyllisch. Sagano arashiyama heißt der Ort. Das ist ein ganz traditionelles Dorf. Dort gibt es noch weite Reisfelder, dichte Bambuswälder, viele Tempel aus der Edo-Zeit und wilde Flüsse. Wirklich richtig schön.
Sehr viele japanische Dichter und Künstler kommen aus diesem Ort.
Mittlerweile ist es sehr touristisch geworden, da man dort viele Samurai Filme gedreht hat und die Gegend so bald ziemlich bekannt wurde.


"Wir haben mindestens zu 50% japanisch gegessen, also hat meine Mutter japanisch gekocht." 

Warst Du denn später mal allein längere Zeit in Japan oder hast dort gelebt oder wolltest Du das?

Eine zeitlang hatte ich ein sehr starkes Bedürfnis danach. So mit sechzehn, siebzehn Jahren fing das an und hat bis Mitte Zwanzig angehalten. Ich habe zu diesem Zeitpunkt, obwohl ich ja nie dort gelebt habe, plötzlich eine stärkere Bindung zu Japan gehabt und es viel mehr als meine zweite Heimat wahrgenommen. Auch hatte ich als Kind oft Heimweh nach Japan. Wenn ich dort war und die Abreise bevor stand, dann war es wie von Zuhause weg zu müssen und ich muss wohl tagelang Herz zerreissend geweint haben.  
Später habe ich mir vor allen Dingen einen eigenständigen Kontakt zu meinen Verwandten gewünscht. Das war ja sprachlich bedingt schwieriger. 

Inwiefern?

Wir sind die ersten Jahre zweisprachig aufgewachsen. Zumindest ich. Also Japanisch war meine Erstsprache und ich habe weniger Deutsch gesprochen. Das hat sich aber gewandelt. Heute kann ich leider nur sehr einfache Unterhaltungen führen.

Wie kam es denn dazu?

Das war ein schleichender Prozess.
Meine jüngere Schwester hat sich von Anfang an geweigert japanisch zu sprechen. Und das sehr beharrlich, wie kleine Kinder eben manchmal sein können. Ihre ersten Worte waren Deutsch und sie hat auf japanische Ansprache hin immer auf Deutsch geantwortet. Wir als Geschwister haben auch nur Deutsch miteinander gesprochen und mit unserem Vater ja sowieso. Es gab noch Phasen, in denen meine Mutter es nochmals versucht hat, aber irgendwann hat sie es dann auch aufgegeben. 
Ich verstehe allerdings sehr viel und merke, wenn ich die Übung habe und viel von der japanischen Sprache umgeben bin, dass es mehr wird und zurück kommt.

So gehts mir auch…

Es ist bei mir auch ein intuitives Sprechen und Verstehen, so wie bei einer Muttersprache.
Ich übersetze im Kopf nichts und denke nicht über die Grammatik nach. 

Wenn Du etwas auf Japanisch sagst, hört sich das für mich auch nach einem Muttersprachler an. 

Ja, das sitzt so drinnen. Momentan ist der Wunsch, die Sprache wieder richtig zu beherrschen, nicht ganz so dominant wie es mal war. Bei mir sind das so Lebensphasen. Ich könnte gerade die Zeit nicht aufbringen, um mich intensiv damit zu beschäftigen.
Vielleicht auch, weil ich derzeit nicht viel Kontakt zur japanischen Kultur habe. Ich treffe beruflich manchmal auf Japaner, aber wir sprechen dann Englisch miteinander.

Und wie ergeht es Deiner Schwester?

So richtig weiß ich das nicht, aber ihr liegt Japan mittlerweile schon sehr nahe. Die Kultur fasziniert sie und sie fliegt auch öfters mit meiner Mutter rüber um Stoffe auszusuchen. 
(Anmerkung: Miakos und Yoshikos Mutter nähen aus schönen japanischen Stoffen Etuis, Handtaschen uvm. Ich bin auch bereits stolze Besitzerin einer solchen Tasche. Mehr dazu bald unter „Schönes“.)

Wie viel Japan hat in Eurem Alltag gesteckt?

Oh schon sehr viel würde ich sagen. 
Vor allen Dingen was das Essen angeht. Wir haben mindestens zu 50 % japanisch gegessen, also hat meine Mutter japanisch gekocht. 
Phasenweise alle Mahlzeiten des Tages. Dann haben wir zum Beispiel Okayu* mit Umeboshi* oder Misoshiru* und Reis gefrühstückt. 
Besonders nach Japanreisen war das Verlangen danach auf meiner Seite besonders groß.

Mittags gab es oft Chirashi Sushi, Karereis *...hmmm. Und wenn Mama mal gar keine Zeit hatte, gab es auch mal ausnahmsweise Instant Ramen*…
Eigentlich ja nicht zu befürworten, aber man waren die lecker!

Kenne ich! Hoch lebe Nisshin*…

Mama hat auch oft Sushi gemacht. Irgendwann haben wir auch mal einen Riesentuna von Deinem Vater bekommen, daran erinnere ich mich auch noch ganz gut. Welch ein Fest!
Und klar auch Obentos* für die Schule. Köstlich mit Omelette und schön geschnittenem Gemüse.

Und war das für Dich ein Problem? So vor den anderen Schulkameraden? Ich habe mich leider immer dafür geschämt und wollte viel lieber ein normales Butterbrot. 

Ich fand es total schön und lecker. Es waren auch immer Freunde da, die das auch probieren wollten und ich wurde auch nicht geärgert oder so, weil ich kein Butterbrot dabei hatte. Ich hatte großes Glück und bin in der Schule auch nie auf rassistische Verhaltensweisen getroffen. 

Wie schön! So sollte es immer sein….kochst Du viel japanisch?

Derzeit leider wenig. Zu Studienzeiten habe ich öfters Freunde eingeladen und Sushi gemacht. Oder einen großen Ofentopf Udonnudeln *und Gemüse.
Insgesamt bleibt leider gerade nicht viel Zeit zu kochen. 
Aber Mama hat uns da schon viel mit auf den Weg gegeben und wir können Japanisch kochen.

Hast du denn, abgesehen von den heißbeliebten Instantnudeln, ein Lieblingsgericht?

Hahaha…nein die esse ich jetzt gar nicht mehr und kann die nicht ausstehen…
Unagi* esse ich sehr gerne oder Gemüse, ganz simpel und japanisch zubereitet. Die japanische Küche ist einfach so sehr auf den Punkt. So pur im Geschmack, da sind selbst die ganz einfachen Gerichte köstlich. Sushi natürlich auch, wenn es denn gut gemacht ist.

Und hier in Berlin? Sushi?

Um ehrlich zu sein, kann ich hier in Berlin nicht richtig gut Sushi essen.
Also es schmeckt okay, aber wenn ich so richtig kritisch bin, finde ich immer etwas.
Egal ob der Reis nicht richtig temperiert ist, zu dicht, zu süß oder salzig. So richtig gutes Sushi in Deutschland gibt es leider nur in wenigen japanischen Restaurants oder natürlich in Japan. 

Und der deutsche Papa? Isst der gerne japanisch?

Papa mag das auch sehr gerne. Er liebt jedoch auch die deutsche Küche. Deftige Hausmannskost wie Eintopf mit Mettendchen oder Bratkartoffeln.

"Der Meister hat immer zu mir gesagt, dass ich „ japanische Beine“ hätte."

Oh, das ist ja auch alles köstlich. Mein Vater kocht sehr gerne deutsche Hausmannskost. Nichts geht über Papas Sauerbraten.
Fühlst Du Dich mehr Japanisch oder Deutsch?

Ich glaube mehr Deutsch. Ich gestehe mir das ungern ein, weil mir meine japanische Seite so wichtig ist. Gerade im japanischen Kontext und mit japanischen Kollegen merke ich auch, wie groß dieser Teil in mir ist.
Vor zwei Jahren habe ich zum Beispiel einen Butoh Workshop mitgemacht. Das ist ein japanischer, experimenteller Ausdruckstanz aus den 60er Jahren. Damals bin ich in die Normandie zu einem Butoh Meister gereist. Dort wurde mir nochmals bewusst, wie bedeutsam das für mich ist. Es ging dabei um eine gewisse Körperlichkeit und Empfinden. Der Meister hat immer zu mir gesagt, dass ich „ japanische Beine“ hätte. Er hatte auch viele Europäer im Kurs, denen es viel schwerer fiel diese Schrittfolgen zu erlernen. Das war bei mir intuitiv, ohne Vorkenntnisse und bei mir lief das irgendwie leichter. Das sind dann wohl die Gene.


©Roger Richter


Gab es bei Dir viele Momente, wo du das Gefühl hattest, nicht Deutsch zu sein? 

Nicht im negativen Sinne. Ich wurde immer gut akzeptiert und es war eher etwas Besonderes an der Schule zur Hälfte Japanisch und Deutsch zu sein.
Wenn ich mit Japanern arbeite, merke ich auch immer wieder, wie leicht mir das fällt. Obwohl wir Englisch oder Deutsch miteinander sprechen, verstehe ich deren Mimik und Gestik. Der Ausdruck und die Sprache, diese indirekte Kommunikation, die Mentalität. Davon weiß ich, wie das funktioniert und merke dann, das ich damit aufgewachsen bin und fühle mich dann nicht Deutsch.

Hast Du auch Charakterzüge, von denen Du sagen würdest, dass sie eher japanisch sind bzw. die stark von Seiten Deiner Mama kommen?

Hmmm…vielleicht Geduld. Natürlich habe ich die nicht immer, aber im Vergleich bin ich ein sehr geduldiger Mensch.
In gewisser Weise auch ein japanisch geprägtes, ästhetisches Empfinden. Zum Beispiel die Wabi-Sabi Kultur*, die ja sehr eng mit dem Zen-Buddhismus verknüpft ist. 

In den Wäldern drüben,
tief unter der Last des Schnees,
ist letzte Nacht
ein Pflaumenzweig erblüht.

Das Empfinden und Schätzen von natürlichen und schlichten Dingen.
Oder auch wie ein Essen angerichtet wird, was ja sehr spezifisch ist. Es scheint einfach, ist aber so ausgeklügelt. Und das spiegelt sich in so vielem wider. Ob es Kleidung ist, oder die Zen-Gärten. 
Für mich bedeutet das eine wahre ästhetische Wonne.



Bekommt Ihr denn regelmäßig „Carepakete“ aus Japan?

Oh ja Tee. Und Strumpfhosen. Klingt komisch, aber es ist wirklich auffällig, wie viele tolle und schöne Strumpfhosen es dort gibt. Schöne Muster, gute Qualität und sehr ausgefallen.
Ich trage generell auch ganz gerne japanische oder asiatische Kleidung.
Ich mag den Stil, die klaren Schnitte, dieses teilweise asymmetrische. Das gefällt mir. 



"Wenn man als Musiker zum Beispiel in ein Spa geht und dort läuft Entspannungsmusik, ich glaube da könnten die meisten von uns durchdrehen."

Dann machen wir mal einen großen Schwenk zur Musik.
Da gab es in Deiner Familie vermutlich kein Entkommen, oder? 

Ich habe mit vier Jahren angefangen Geige zu spielen. Meine Mama hat Zuhause natürlich viel Klavier gespielt und ich wollte schon immer gerne musizieren
So habe ich dann bald Unterricht bekommen.

Okay, ich muss das fragen, weil viele bestimmt die über ehrgeizige asiatische Eislauf-Mutter vor Augen haben…wie war das bei Euch?

Das kann ich mir vorstellen. Nein, bei uns war das wirklich völlig druck frei und mit viel Freude. Wenn man immer von Musik umgeben ist, kommt das glaube ich automatisch. 

Warum Geige und nicht Klavier wie Mama?

Das wiederum hatte mehr oder weniger meine Mutter für mich ausgesucht. Ganz intuitiv nach Charakter. Ich war ein ganz ruhiges und eher sensibles Kind. Mama konnte sich das Klavier für mich von der reinen Körperlichkeit her nicht richtig vorstellen. Für mich also die Geige.
Meine Schwester hat mit fünf Jahren angefangen Klavier zu spielen und sie ist auch eher der extrovertierte Typ. Das passte so ganz gut.




Wann war für Dich der Moment, dass Du das auch beruflich machen wolltest?

Hmmm…ich würde sagen so mit siebzehn, achtzehn Jahren vielleicht. Ich hatte es auch lange Zeit für mich ausgeschlossen und konnte mir eher vorstellen Design oder Grafikdesign zu studieren.
Kurz vorm Abitur wurde der Wunsch größer, das zu meinem Beruf zu machen und nicht nur als Hobby.
Ich habe mit vierzehn Jahren angefangen Wettbewerbe zu spielen und war in einigen Jugendorchestern. (Anmerkung: Miako ist japanisch bescheiden, sie hat natürlich mit vierzehn Jahren angefangen Wettbewerbe zu gewinnen…zum Beispiel hat sie - wie oben bereits angemerkt - mehrfach gewonnen und erhielt z.B. Auszeichnungen für den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ und u.a eine Auszeichnung der Irino-Stiftung in Tokyo für zeitgenössische Musik).
Da hat aber auch viel anderes mit reingespielt.
Man weiß erst in dem Alter um die Vor,- und Nachteile der Branche. Wenn man gewisse Sicherheiten braucht, vor allen Dingen finanzieller Natur, ist das als Berufsmusiker sehr schwer und ein doch unsicherer Job.

Haben alle aus Deiner Familie ein Instrument gespielt? Habt Ihr oft zusammen musiziert?
Bei uns wurde auf jeden Fall jeden Tag musiziert, aber mehr jeder für sich. Ab und an auch zusammen, jedoch nicht so extrem, wie ich das von anderen Familien kenne, die auch viel miteinander musiziert haben. Mein Vater hat hobbymäßig E-Gitarre gespielt. 

Spielt Deine Mutter noch und spielt Ihr manchmal zusammen?

Nein, momentan näht meine Mutter sehr viel, da es eine hohe Nachfrage nach ihren Sachen gibt. Aktiv spielt sie nicht mehr, aber sie unterrichtet noch Klavier.
Manchmal macht mich das auch traurig, wenn ich nach Hause komme und den Flügel dort so abgedeckt und voller Nähkisten stehen sehe. Auf der anderen Seite hat meine Mutter sich gerade bewusst so entschieden und ist damit sehr zufrieden, sieht das auch als Erleichterung. Man muss, um an einem Instrument wirklich fit zu bleiben,  ja doch täglich sehr viel Zeit investieren und sehr diszipliniert sein. 

Das glaube ich. Und Du spielst ja sogar zwei Instrumente, richtig? 

Ich spiele Geige und Flöte. Mit sechs Jahren habe ich begonnen zusätzlich Flöte zu spielen und habe mich auch später im Studium dafür entschieden, zwei Hauptfächer zu belegen. In Amsterdam, wo ich studierte, habe ich sowohl Flöte als auch Geige gewählt. Was gar nicht so einfach durchzusetzen war. Ich wollte mich aber nicht für eines der Instrumente entscheiden müssen.
Das musste ich mir allerdings sehr erkämpfen und ich muss dazu sagen, dass dies nicht der übliche Gang ist und ich da die Ausnahme war. Im Normalfall belegt man nämlich nur ein Hauptfach. Das hat auch seine Gründe. Man erhält ja wöchentlich individuellen Unterricht bei seinem Professor. Bei zwei Hauptfächern ist das für die Uni auch ein Kostenfaktor. Und zusätzlich muss man genug Zeit haben, um zu üben. Daher ist es relativ selten, dass ein Student zwei Instrumente studiert und dann auch gleich gut beherrscht. 


©Stephane Lelarge

Du hast’s halt drauf, Miako! Cool…
Aber muss man nicht auch noch ein Instrument als Nebenfach belegen? Puhhh…

Ja, Klavier muss man lernen.
Das habe ich Zuhause nebenher genügend lernen können. Richtig sicher fühle ich mich dabei aber nicht. 
Ich unterrichte derzeit mehrere Kinder und wir hatten letztens ein Vorspiel. Ich sollte die Kinder auf dem Klavier begleiten und ich war auf jeden Fall nervöser als alle Anwesenden zusammen. Kurz zuvor hatte ich mein erstes Examenskonzert, was ja nicht ganz unwichtig war. Trotzdem war ich beim Kindervorspiel, wo ich lediglich drei Akkorde auf dem Klavier spielen sollte, nervöser als vor den ganzen Professoren. 

Was macht für Dich die Faszination Deiner beiden Instrumente aus?

Es sind einfach zwei ganz gegensätzliche Instrumente.
Auch körperlich gesehen. Die Flöte als Blasinstrument arbeitet ja mit Deinem Atem. Wie bei Singen oder Sprechen kommt es aus Dir heraus. Es ist auch ein introvertiertes Instrument, mit limitierten Möglichkeiten. Ich denke irgendwo, dass es ein sehr ehrliches Instrument ist. Eben ein einfaches Rollrohr mit ein paar Löchern drin. Gerade durch die klangliche Begrenztheit, kann man nichts verstecken. Es ist für mich sehr pur und ich kann sehr viel Ausdruck hereinlegen.


"Ja, also jeder Musiker hat ja so sein Vokabular, ein Set an Klängen an denen ich mich bedienen kann."

Die Geige hat viel mehr dynamischen Spielraum und ist ein sehr extrovertiertes Instrument.
Wenn man sich die Literatur anschaut, die ich während meines Studiums gespielt habe, sind ja diese ganzen romantischen Schinken sehr großes, lautes und virtuoses Zeug. Wie bei allen Streichinstrumenten, ist es auch der Resonanzkörper, den man beim Spielen spürt. Das geht so richtig in die Knochen und den Körper rein. Ich merke, wenn ich das eine zeit lang nicht habe, dass ich dann nervös werde und das körperlich richtig brauche.

Haben Dich auch mal japanische Instrumente interessiert?

Ja. Das Koto und das Shakuhachi finde ich sehr expressiv. Auch den traditionellen Gesang finde ich sehr interessant. 
Shakuhachi würde ich lernen, wenn es nicht so schwer und damit sehr zeitintensiv wäre. 
Da merke ich aber wieder mal eine japanische Verbindung. Es gibt da einfach eine bestimmte Ästhetik in der Musik und anderen Kunstformen. 
Den Focus auf den Moment zu legen. 
Stille, beziehungsweise die Abwechslung zwischen Stille und Aktion spielt dabei eine wichtige Rolle, es ist sehr minimalistisch und energetisch. Auch hier hat das viel mit dem Buddhismus und der Zen-Kultur zu tun. 

Hat es Dich in Deinem Spiel beeinflusst?

Teilweise schon. Es spiegelt sich insofern in meiner Musik wider, als das ich viel improvisiere und an eigenen Kompositionen arbeite. Da gibt es Anknüpfungspunkte, die in der japanischen, asiatischen Musik wurzelt. 
Derzeit spiele ich viel zeitgenössische Kompositionen. 


Wie läuft das so ab, wenn Du improvisierst?

Ich spiele selten allein, sondern meist als Duo und oftmals mit Partnern, mit denen ich schon länger arbeite.
Im Prinzip spielt man das, wonach einem gerade ist und was man spürt und geht wiederum auf das ein, was zurückkommt. Gerade letzte Woche hatte ich noch ein solches Konzert, wo ich mit jemanden gespielt habe, den ich kaum kannte und das ist auch immer sehr spannend. Im Moment spiele ich jedoch wenig völlig freie Improvisation, sondern arbeite lieber mit den Partnern die Stücke aus. Erforschen die Klänge und geben diesen Strukturen. Die Herausforderung in einer solchen Improvisation ist, etwas in diesem Moment zu schaffen, Spannungsbögen aufzubauen, aber eben auch das Gefühl für die längere Form und den Verlauf des Gesamten zu entwickeln.
Es ist ja wie bei einer Geschichte, die nicht langweilig werden soll. 

"Das war noch während meiner Studienzeit und ich hab dann gar nicht mehr daran gedacht, weil Circus auch irgendwie nicht so mein Ding war."

Ich als Laie kann mir das gar nicht vorstellen. Ist das so selbstverständlich wie Sprechen? Wie kann ich mir das vorstellen? Wie intuitiv ist das ganze für Dich? 

Ja, also jeder Musiker hat ja so sein Vokabular, ein Set an Klängen an denen ich mich bedienen kann. Ich kenne mein Instrument, weiß wie ich es bedienen und bestimmte Atmosphären hereinlegen kann. Ich sitze ja jeden Tag an meinem Instrument und über die Jahre hat sich ein Wissen angesammelt. Das ist im Grunde genommen wie eine Sprache. So wie wir beiden uns jetzt unterhalten, kann ich mich mit meinen Instrumenten mit einem anderen Musiker unterhalten.

Ohhh, voll toll!
Musizieren macht ja auch irre Spaß und es entwickeln sich dabei ja bestimmt schöne Dynamiken.


Ja, das geht mir auch immer sehr nahe. Man spürt das energetisch, ob es harmoniert  oder nicht und tauscht sich aus. Das spiegelt sich in der Musik genau wie in einer Beziehung wider, dieses Gespür für das Zwischenmenschliche. Und das kann sehr intensiv und faszinierend sein. 

Okay…also macht das nicht irgendwo süchtig?

Deswegen hab ich es wohl auch zu meinem Beruf gemacht. Klar, ist das nicht immer so wie eben beschrieben. Manchmal kommt man auch gar nicht rein und man ist mit dem Kopf woanders. Wie in jedem anderen Beruf auch.
Im Grunde ist es für mich immer wieder faszinierend, anderen Musikern zu begegnen, mit ihnen zu arbeiten und auf so enge Art und Weise etwas auszutauschen.


©Roger Richter

Hast Du denn mal mit anderen Japanern gespielt oder improvisiert?

Mit Japanern habe ich bisher nicht improvisiert. 
Neulich habe ich ein dreistündiges Konzert der Marginal Consort in der Elisabethkirche gesehen. Das ist ein Kollektiv improvisierender Japaner.
Das ist mir so nah gegangen. Ein tolles Konzert, sehr experimentell, aber auch viele traditionelle Elemente, sowie schamanistischen Gesängen. Sehr japanisch und extrem faszinierend. Das fühlte sich an wie ein riesiges Ritual.

Was sind denn so Deine aktuellen Projekte?

Im August in Sri Lanka, Colombo, da bin ich dann schon zum dritten Mal. 
Im Herbst steht einiges in Berlin an, als Duo mit einer Trompeter.
In September bin ich dann wieder in Nagoya und spiele auf der Aichi Triennale.
Ich habe während meines Studiums eine japanische Komponistin kennengelernt und mich sehr gut mit ihr verstanden.
Sie organisiert vor Ort Konzerte und hat mich dieses Jahr wieder dazu eingeladen. 

Worauf freust Du Dich am meisten in Japan? 

Auf jeden Fall auf das Essen.
In Tokyo möchte ich gern die Improvisations-Szene kennenzulernen. Hach, einfach dort zu sein und mal wieder das Lebensgefühl aufzunehmen.
Ich würde auch gerne in die Onsen Berge (Anmerkung: Onsen sind heiße Quellen) 

Wohin hat dich Deine Musik noch so hingeführt?

Insgesamt bin ich dadurch schon sehr viel rumgekommen. Europa natürlich und in den USA.
Ich habe auch mal 15 Monate in Macau gelebt und dort beim Cirque du Soleil gespielt.
Dort war ich Teil der Band. Das war dann speziell dafür komponierte Showmusik. Das war toll.




Wie kam es dazu?

Das ist ein Riesenunternehmen mit weltweit so zwanzig Shows oder so und die haben ihre Talent-Scouts rund um den Globus. Einer davon hatte mich auf einem Konzert in Amsterdam gehört und mir daraufhin seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Das war noch während meiner Studienzeit und ich hab dann nicht mehr daran gedacht, weil Circus auch irgendwie nicht so mein Ding war. 
Nach dem Studium war ich dann auf Jobsuche, da hab ich dem Typen einfach mal eine Email geschrieben. Der sich auch gerade bei mir melden wollte, da sie wieder jemanden suchten. Ehrlich gesagt, musste ich dann erstmal auf der Karte nachschauen, wo genau Macau überhaupt liegt. 
Naja, ich hatte zu der Zeit keinerlei Verpflichtungen und Bindungen hier in Deutschland und so bin ich dann rüber. Das war nach dem doch sehr strengen und klassischen Studium genau die richtige Entscheidung. Ich hatte erst für fünf Monate unterschrieben, habe dann sogar verlängert. Wenn wir Urlaub hatten, bin in der Zeit viel mit dem Rucksack durch Südostasien gereist. Eine ganz tolle Lebenserfahrung kann ich dazu nur sagen. Und köstliches Essen.

Sag mal, hörst Du als Musikerin eigentlich Musik anders?

Also ich kann zum Beispiel schlecht Musik einfach im Hintergrund laufen lassen, weil es dann doch sehr viel Aufmerksamkeit zieht. Ebenso wenig kann ich zeitgleich ein Buch lesen und dabei Musik hören. Statt dessen höre ich dann doch recht bewusst und intensiv hin was da gerade passiert und achte auf Klänge und beleuchte es. Ich glaube, dass Musiker da auch schlechter abschalten können als andere. Wenn man als Musiker zum Beispiel in ein Spa geht und dort läuft Entspannungsmusik, ich glaube da könnten die meisten von uns durchdrehen. 
Das ist zum Teil bei Freunden von mir ganz extrem. Mit manchen kann man kaum eine Unterhaltung führen, wenn im Hintergrund auch nur leise Musik läuft. Deswegen empfinde ich das hier auch gerade als sehr angenehm.

Apropos Freunde, ich hoffe das ist nicht zu privat. Ihr seid doch beide glaube ich auch mit Musikern zusammen, oder? Zufall?

Einmal ist es so, dass mein engster Freundeskreis wohl einfach auch berufsbedingt, aus vielen Musikern besteht. Darum lerne ich auch nicht so schnell Leute aus anderen Berufsbereichen näher kennen. 
Es ist schon so, dass man viel miteinander teilt. Man führt ja doch ein spezielles Leben als Musiker, wofür man als Nicht-Musiker wohl sehr viel Verständnis mitbringen müsste. Ob es das ständige Reisen ist, die sehr ungeregelten Arbeitszeiten, morgens Probe-Zuhause üben-abends dann das Konzert. Das viele Üben, teilweise bis spät in die Nacht. Man investiert halt einen großen Teil seiner Zeit in sein Instrument. Wochenende kenne ich in der Form, wie andere es haben, auch nicht. 
Zudem finde ich den Austausch sehr inspirierend, ich finde es toll, dass ich das alles mit meinem Partner teilen kann.


Was sind Deine Ziele für die nächsten Jahre?

Gerade arbeite ich an einer CD-Aufnahme und schaue mich nach einem passendem Label um, wo man das unterkriegen kann. Ansonsten bin ich froh, wenn es genau so weitergeht und habe keine konkreten Ziele. Wenn sich die Projekte die ich gerade so mache sich so weiterentwickeln, ist alles gut. 

Also dabei wünsche ich Dir viel Erfolg und danke, dass Du Dir soviel Zeit genommen hast und mir dieses schöne Café gezeigt hast und mir soviel schönes aus Deinem Leben erzählt hast.
Ich hoffe, dass wir sehen uns bald wieder!

Ja, melde Dich wenn Du in Berlin bist und lass uns gerne treffen! 


Auf www.miako-klein.com findest Du ihre Konzerttermine und Neuigkeiten. 
Mittlerweile ist ihr Album erschienen. Reinhören und kaufen könnt Ihr es unter 





*Okayu, ein japanischer Reisbrei 
*Misoshiru, eine japanische Suppe aus fermentierter Sojabohnenpaste
*Umeboshi, in Salz und roten Shisoblättern eingelegte Salzaprikosen
*Chirashi Sushi, serviert in einer Schüssel, kombiniert man verschiedene Toppings von Fisch bis Gemüse auf Sushireis
*Karereis, japanisches Curry auf Reis 
*Nisshin, japanische Instant-Nudel Firma
*Oden, ein japanisches Gericht, das aus mehreren Zutaten wie gekochtem Ei, Daikon, Konnyaku und Chikuwa besteht und in Dashi-Brühe mit Konbu oder Katsuobushi gekocht wird.
*Udonnudeln, dicke japanische Weizennudeln
*Bentobox, eine populäre Darreichungsform von Speisen, bei der in einem speziellen Kästchen, welches man auch gerne zur Schule/Arbeit mitnimmt, mehrere Speisen durch Trennwände voneinander getrennt sind. 
*Unagi, japanische Aalspezialität
*Wabi-Sabi,  Wabi Sabi, ein sehr eng mit Japan und dem Zen Buddhismus verbundenes Konzept der Ästhetik, ist eine eine Art und Weise, Dinge wahrzunehmen.